Axel, Moritz, Ihr habt euch direkt entschieden, als Doppelspitze zum Interview anzutreten. Warum?
Axel: Schalke benötigt keinen neuen Boss, sondern ein Team, das im Hintergrund arbeitet und in der schwierigen Zeit mit klarem Kopf und klarem Plan agiert. Wir sitzen hier als zwei, die dieses Team repräsentieren.
Mit welcher Art von Führungskultur geht Ihr an die Arbeit? Als Gremium wie als Vorsitzender und Stellvertreter?
Moritz: Wir haben sicherlich eine Vorstellung, die sich über mehrere Jahre erstreckt und entsprechende strategische Entscheidungen benötigt. Gleichzeitig haben wir kurzfristig wichtige Themen, die sich aktuell aufdrängen: die finanzielle Situation und der Kaderumbau, den Rouven Schröder und Peter Knäbel sehr gut und mit viel Dynamik angehen. Darüber hinaus muss das Gremium Aufsicht führen können. Dafür haben wir die Struktur angepasst, sodass jeder seine Expertise einbringen kann.
Verantwortung teilen …
Axel: Genau. Erste – von allen getragene – Veränderungen sieht man an der neuen Ausschussstruktur. Zwei Bereiche sind dazugekommen, die bislang nicht genug Beachtung erfahren haben: Strategie und Miteinander, also der Fokus auf Mitglieder, Fans und die soziale Verantwortung, für die es nun eigene Ausschüsse gibt. Die weitere Änderung ist, dass jedes Aufsichtsratsmitglied in einem Ausschuss mitarbeitet. Jeder hat seine Themen, für die er verantwortlich ist und für die er dem Vorstand beratend zur Seite steht. Die dritte Änderung: In der Position des Vorsitzenden gibt es keine Ämterkonzentration mehr. Bisher war der Vorsitzende nicht nur Sprecher des Aufsichtsrats, sondern auch Mitglied der wichtigsten Ausschüsse.
Schalke benötigt keinen neuen Boss, sondern ein Team, das im Hintergrund arbeitet und in der schwierigen Zeit mit klarem Kopf und klarem Plan agiert.
Das klingt nach einem Kulturwandel.
Axel: Der wesentliche Gedanke ist, dass wir als gleichberechtigtes Team agieren. Der Verein soll nicht mehr von Einzelpersonen getrieben oder gar abhängig sein. Wir benötigen eine Struktur, in der die teils sehr komplexen Fragestellungen auf die Ausschüsse verteilt werden, man sich gegenseitig vertraut und im Gesamtaufsichtsrat die Richtung festlegt. Das ermöglicht es auch, strukturierter vorzugehen und weniger aus dem Bauch heraus zu entscheiden.
Welche Schwerpunkte setzt Ihr, um die Frage zu beantworten, was Schalke ist und wie es sein sollte?
Moritz: Schalke ist vor allem ein Fußballverein und das Sportliche somit Kern unserer Aufgabe. Hier wollen wir uns, wie erwähnt, etwas lösen von Kurzfristigkeit und Tabellenständen und hin zu der langfristigen Entwicklung des Kaders, ohne dabei den Blick für das Tagesgeschäft und die Spieltage zu verlieren. Die richtige Balance ist entscheidend. Das ist die Zielsetzung des Sportbereichs wie auch des Sportausschusses im Aufsichtsrat, die eng zusammenarbeiten. Zudem spielen wir eine große gesellschaftliche Rolle in der Region. Der Ausschuss „Miteinander“ soll die Kommunikation zu unseren Fans und Mitgliedern verbessern und ein Auge darauf haben, welchen Platz Schalke in der Region einnimmt.
Axel: Im Strategieausschuss geht es darum, einen langfristigen Plan zu entwickeln und unsere Ziele über einen größeren Zeitraum zu verfolgen. Der Fußball ist vielen Veränderungen unterworfen; die extreme Spreizung der Umsätze der Clubs wird weiter fortschreiten. Deswegen ist es essenziell, langfristige Ziele für den gesamten Verein zu setzen, abzustimmen und zu erreichen. Im Marketing beispielsweise kann man bei der Gewinnung von Partnern und Sponsoren nur den Schwerpunkt auf ein neues Land legen, wenn man dies auch in der Kaderplanung berücksichtigt. Im vierten Bereich, den Finanzen, ist bereits viel geschehen. Durch die Fehlentwicklungen der vergangenen Jahre ist die Lage nicht einfach. In den kommenden zwölf Monaten wird es extrem wichtig sein, die Kosten weiter zu senken. Wir kommen von einer sehr hohen Kostenbasis in der Bundesliga und können natürlich keinen direkten Wiederaufstieg garantieren. Wir müssen uns, was die finanziellen Planungen betrifft, auch auf die Möglichkeit einstellen, mehrere Jahre in der Zweiten Liga zu spielen.
Der Niedergang vom Champions-League-Starter zum Zweitligisten hat nicht viel Zeit in Anspruch genommen. Wo wird Schalke seinen Platz finden in diesem Fußballzirkus, Stichwort Paris St.-Germain & Co.?
Axel: Langfristig muss der Anspruch sein, einer der Top-Vereine in Deutschland und auch in Europa zu werden. Wir müssen aber aufpassen, die Fehler der Vergangenheit nicht zu wiederholen. Vereine wie PSG und viele Premier-League-Clubs haben sich verkauft, um mit Hunderten von Millionen kurzfristig sportlichen Erfolg kaufen zu können. Das geht weder langfristig gut, noch ist es das, was das Ruhrgebiet und Schalke ausmacht. Unser Anspruch muss sein, dass wir zu unseren Werten stehen, unserer Verantwortung gerecht werden und uns den Erfolg erarbeiten. Das haben wir in der Vergangenheit getan und werden es auch in Zukunft wieder erfolgreich machen.
Moritz: Kumpel und Malocher heißt im Wesentlichen, durch ehrliche Arbeit voranzukommen, und ich glaube, die liegt gerade vor uns. Davon ab, was wir uns langfristig wünschen, stehen im Vordergrund die wirtschaftliche Konsolidierung und der Umbau des Kaders mit dem Ziel aktueller Wettbewerbsfähigkeit. Sicherlich haben wir die Ambitionen, um den Aufstieg zu spielen, aber für eine sofortige Rückkehr dürfen wir uns nicht weiteren unkalkulierbaren Risiken aussetzen.
Der Ausschuss „Miteinander“ soll die Kommunikation zu unseren Fans und Mitgliedern verbessern und ein Auge darauf haben, welchen Platz Schalke in der Region einnimmt.
Das bedeutet, an der Diskussion über eine Änderung der Rechtsform beteiligt sich der S04 erst einmal nicht?
Axel: Diese Diskussion ist zu einem völlig falschen Zeitpunkt angestoßen worden, im Nachhinein ein großer Fehler. Die wesentlichen Fragen sind zunächst: Wo wollen wir hin? Was ist unsere Vision? Was wollen wir erreichen? Wenn wir uns darauf geeinigt haben, können wir überlegen, ob wir das aus eigener Kraft schaffen oder zusätzliche Mittel benötigen. Wenn wir uns für Letzteres entscheiden sollten, müssten wir prüfen, wo und auf welcher rechtlichen Grundlage sie herkommen könnten. Stattdessen hat die angestoßene Diskussion zu großer Verwirrung und einer riesigen Debatte im und um den Verein geführt. Wenn man sieht, was der Vorstand und die gesamte Geschäftsstelle derzeit zu leisten haben, können wir so etwas überhaupt nicht gebrauchen. Wir müssen Schalke erst mal stabilisieren und die Grundlagen für eine erfolgreiche Zukunft schaffen. Danach kann sich diese Frage stellen.
Auf die veränderten Verhältnisse muss sich auch das berühmte „Schalker Umfeld“ einstellen. Wie schwierig ist es, erfolgreich für die nötige Geduld zu werben?
Axel: Grundsätzlich ist bei einem solchen Umbruch oder in einer Krisensituation Kommunikation das A und O. Man kann fast alles angehen und Menschen auch von unpopulären Entscheidungen überzeugen, wenn man offen und ehrlich ist. Das zeichnet das Ruhrgebiet aus. Natürlich ist Schalke sehr emotional – was gut ist, deswegen sitzen wir ja alle hier – und unter ungemein großem öffentlichen Interesse. Da ist es wichtig, als Verein Stehvermögen zu entwickeln und sich der Kritik zu stellen. Die Schnelllebigkeit der Medienlandschaft müssen wir auch mal aushalten, wenn wir uns sicher sind, dass die Richtung stimmt. Wer da mit gutem Beispiel vorangeht, wird auch das gesamte Umfeld dazu bekommen, ein bisschen geduldiger zu sein. Wir können die Entwicklung von mehreren Jahren nicht in ein paar Monaten komplett umdrehen. Das ist unmöglich.
Moritz: Niemand ist Schalker, weil er nur jedes Spiel gewinnen möchte. Was wir neben dem nötigen sportlichen Erfolg hinbekommen müssen, ist, dass die Menschen sich wieder mit ihrem Club und dessen Werten identifizieren und verstehen, warum sie diesen Verein so lieben. Dazu gehört mehr als ein Tor oder Sieg, dazu gehören Leidenschaft auf dem Platz, eine Spielphilosophie mit Wiedererkennungswert, Nachwuchs, der kontinuierlich in den Profifußball integriert wird, und Verantwortliche, die in der Öffentlichkeit Dinge sagen und tun, die zueinanderpassen und dem Leitbild des S04 entsprechen.
Habt Ihr das Gefühl, dass die neuen Verantwortlichen in Vorstand und Sportdirektion genau das repräsentieren?
Moritz: Definitiv, sie machen das sehr gut. Die Zusammenarbeit zwischen Vorstand und Aufsichtsrat ist sehr vertrauensvoll. Auch die freie Vorstandsstelle, die bis vor kurzem Marketingvorstand Alexander Jobst bekleidet hat, war schon Thema. Wir planen, diese Position neu zu besetzen und das Team dadurch zu komplettieren.
Wie sieht das Profil für die Neubesetzung aus?
Axel: Es ist angedacht, das Feld etwas weiter zu fassen als bisher. Gerade der Bereich Strategie ist in der Vergangenheit zu kurz gekommen und soll von einem neuen Vorstand, in diesem Fall einem Vorstandsvorsitzenden, ebenso vertreten werden wie Marketing und Vertrieb.
Wie groß ist das Zeitfenster?
Axel: Auf der Ebene gestaltet sich die Suche nicht ganz einfach. Die Erfahrung zeigt, dass man sechs bis zwölf Monate benötigt, um einen passenden Vorstand zu finden. Dieser Prozess ist bereits vor der Mitgliederversammlung angelaufen. Wir tun unser Bestes, aber wichtiger als die Geschwindigkeit ist es, die richtige Person zu finden. Das muss eine Person sein, die erkennt, dass Schalke weitaus mehr ist als ein Fußballverein.
Gerade der Bereich Strategie ist in der Vergangenheit zu kurz gekommen.
Gerade weil Schalke mehr ist als ein Fußballverein, hat die Tradition eine unheimliche Wucht. Außer ihr hatte der S04 etwa in der vergangenen Saison nicht viel im Angebot. Viele sehen Tradition und Moderne jedoch als zwei Pole, die sich ausschließen. Im Idealfall sollte man sie aber synchronisieren, oder wie seht Ihr das?
Moritz: Hundertprozentige Zustimmung. Erst mal muss man verstehen, dass unsere Region und der Bezug zum Bergbau nicht nur Tradition, alt und rückwärtsgewandt sind. Im Ruhrgebiet entsteht vieles neu, und auch unsere Vereinstradition ist verbunden mit Innovationen, die hier entstanden sind. Deswegen schließt sich beides nicht gegenseitig aus. Wir wollen wieder stolz sein können, auf das, was uns ausmacht: Das sind Ehrlichkeit, der Wille zu harter Arbeit und das direkte Wort. Gleichzeitig müssen wir bereit sein, Neuem gegenüber aufgeschlossen zu sein. Das ist möglich und passt zu Schalke, wie ich es kenne.
Axel: Man darf der Vergangenheit nicht nur nachtrauern, sondern sollte überlegen, was die Vergangenheit ausgemacht hat. Was ist denn unsere Tradition? Aus meiner Sicht bedeutet das nicht nur, dass Gelsenkirchen früher viele Zechen hatte. Unsere Tradition ist, dass man füreinander einsteht, gemeinsam hart arbeitet für eine bessere Zukunft. Das ist heute genauso aktuell wie vor 50 oder 100 Jahren. Unsere Aufgabe und Verantwortung für die Region ist es, wie wir diese Werte in die Zukunft transportieren und in Einklang bringen.
Welche Rolle der S04 für Gelsenkirchen spielen sollte, was die Aufsichtsräte zu ihrem Hintergrund als Fans sagen, und was sie privat bewegt – all das lesen Vereinsmitglieder im neuen digitalen Schalker Kreisel, exklusiv in der App oder als Desktop-Version.
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