Der FC Schalke 04 trauert um Achim Rettler

Nachruf Achim Rettler

Ungezählte Jahre beginnt der Morgen auf der Schalker Geschäftsstelle noch vor dem Kaffee mit einem anderen wichtigen Ritual. Als Empfangschef pflegt Achim Rettler mit einem Gutteil der Belegschaft individuelle Begrüßungformeln: ein dezentes Fingerschnipsen hier, leise wie laute Gesänge dort, innige Umarmungen, herzliche Beschimpfungen, die Verschwörerfaust der Volksfront von Judäa aus dem „Leben des Brian“ – SPALTER! Heute fließen Tränen, und zwar reichlich, als die Gewissheit eintritt, dass diese vertrauten Episoden nicht wiederkehren werden.

Für den jungen Achim aus Wanne-Eickel wird Schalke 04 die erste große Liebe, obwohl er beim Stadiondebüt 1981 gleich mit seinem Verein absteigt. Am 19. Mai 2001 erlebt er das Meisterschaftsdrama in der Nordkurve, nur 04 Monate später geht sein größter Wunsch in Erfüllung, als Rudi Assauer höchstselbst ihn für den S04 verpflichtet. 20 Jahre lang wird er stolzer Teil der Belegschaft und immer da sein: Chauffeur für Spieler und Manager, Poststelle, Zentraleinkauf, Mädchen für alles, zuvorderst aber am Empfangsschalter erster Abfangjäger für skurrilste Besucher- oder Anruferattacken – und nicht zuletzt oberste Zensurbehörde, wenn sich neue wie nichtsahnende Mitarbeiter frühmorgens in falschen Vereinsfarben durch die Drehtür wagen. Manch eine(r) dürfte nach der Standpredigt à la Achim noch am selben Abend alles Gelblastige dem Altkleidercontainer übergeben haben.

Laut Vita – unter anderem Mr. Norderney 1983, „Ausguck“ bei den Cranger Kirmespiraten und Deutscher Meister im Autoscooterrückwärtsfahren 1984-1987 – darf Achim unbedingt ein Unikum genannt werden. Bekannt wie ein bunter Hund, wobei er auf „königsblau“ bestehen würde, seinen Knappen auf Schritt und Tritt folgend, bei Spielen in historischen Trikots gewandet durch Himmel und Hölle schreitend. Im Grunde aber ist er ein Mensch mit all seinen Ecken, Kanten und Macken, manchmal streitbar, immer nahbar. Eigenschaften, für die er schließlich auch Schalke liebt und Schalker ihn.

Auf Vereinsfeiern wird gewartet, nein: erwartet, dass Achim zu später Stunde traditionell die Bühne entert und alle Anwesenden durchs Mikrofon zu einem einzigen Schunkelklumpatsch vereint mit Ährwin Weiss‘ legendärer Liedfrage: „Mäusken, willze mit mich Eis essen gehen …“. Danach natürlich „Blau und Weiß“ und das tiefe Gemeinschaftsgefühl: Schalke ist der geilste Club der Welt.

Seinen sonstigen Soundtrack bespielen Rolling Stones, Depeche Mode, Die Ärzte, AC/DC, fein säuberlich protokolliert von einem sagenumwobenen Geheimclub namens „Musikweisen“, dessen Mitglieder sich gegenseitig alles, aber auch wirklich alles aus der vertonten Historie vorspielen und dafür trotz bierseliger Stimmung streng bürokratisch Bewertungsnoten vergeben. Dort geht er nicht nur als „Fußwackler“ in die Historie ein, sondern auch als Initiator der Eröffnungshymne, Roger Whittakers „Ein bisschen Aroma“.

Den 50. Geburtstag vor drei Jahren feiert Achim in der Arena, wo auch sonst, ganz groß mit Familie und Freunden. Auf einem soeben überreichten Retro-Fahrrad kurvt er unter Applaus und großem Hallo durch die Menge. Nicht lange danach geht es gesundheitlich bergab. „50 Jahre hat mein Körper durchgehalten“, betont er tapfer, wenn man sich trifft. Dass es ihm nicht gut geht, ist unübersehbar. Die Treffen werden seltener.

Mike Büskens, der ihn ebenfalls seit vielen Jahren kennt und schätzt, widmet ihm öffentlich den Aufstiegssieg gegen St. Pauli, als Sinnbild für viele Schalker, weil er wahnsinnig gelitten hat. Es scheint, als habe der Angesprochene den Aufstieg noch abgewartet. Und Zufall oder nicht: Wie vor 21 Jahren erfährt der 19. Mai eine denkwürdige Bedeutung. Nach langer, schwerer Krankheit ist Achim Rettler an diesem Tag von uns gegangen. Als Sohn, Bruder, Cousin, Onkel, bester Freund, Rübennase, Schalker.

Glück auf, lieber Achim. Und wenn du den Fußballgott triffst, dann zeig ihm mal schön, wo der Frosch die Locken hat! Hier unten vermissen wir dich jetzt schon.

Der FC Schalke 04 wird Achim stets ein ehrendes Andenken bewahren.

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