Der Schalker Jan und das Meer

Bereits Ernest Hemingway wusste mit der Seefahrer-Romantik zu spielen. Seine weltberühmte Fünfzigerjahre-Novelle „Der alte Mann und das Meer“ erzählt vom kubanischen Fischer Santiago, der auf dem Ozean mit einem gigantischen Speerfisch kämpft. Während des schier endlosen Duells fragt er sich immer wieder, wie wohl sein großes Idol reagieren würde: der US-amerikanische Baseball-Superstar Joe DiMaggio von den New York Yankees.

Auch Krabbenfischer Jan Claußen, kräftige Statur, kräftiger Händedruck, norddeutscher Zungenschlag wie Comic-Held „Werner“, ist auf See schon einige Male in lebensbedrohliche Lagen geraten. „Einmal waren die Wellen und die Neigung meines Kutters so stark, dass ich rücklings auf dem Boden lag und dennoch aufrecht stand“, erzählt er. „Da dachte ich: Tut datt Not?“ Claußens bedrückte Miene verrät: Die Geschichte ist kein Seemannsgarn, sondern exakt so passiert. Der erfahrene Kapitän deutet auf den Holzfußboden unter Deck und hält die rechte Hand einen halben Meter über die linke: „So hoch stand das Wasser im Schiffsinneren. Da habe ich mich gefragt, ob ich noch mal nach Hause komme.“ Ob Claußen in höchster Not an Königsblau dachte, während der Film seines Lebens an ihm vorbeizog? Er weiß es nicht mehr. Doch man kann davon ausgehen, denn Claußens Leben besteht aus Fischerei, Familie und der Faszination Schalke.

Nahezu alles an seinem Krabbenkutter „Antares“, der im Hafen von Büsum liegt, erinnert an die Knappen aus dem Ruhrrevier. Den Rumpf des 16 Meter langen und gut vier Meter breiten Schiffs hat sein Besitzer in liebevoller Handarbeit königsblau bepinselt. Am Bug und auf dem schneeweißen Stützsegel prangt jeweils riesengroß das Wappen des geilsten Clubs der Welt, hoch oben im Rigg flattert ein blau und weißes Fähnelein im frischen Nordseewind. Am Heckkorb hat Claußen zwei kreisrunde metallene Schilder befestigt, in die er kunstvoll das S04-Emblem geflext hat. Seitlich, am Steuer-Unterstand, prangt die große Leidenschaft: FC Schalke 04. Selbst die Bettwäsche in der Achterkajüte, in der er und Enkel Kevin während der meist mehrtägigen Fangzüge ihre Nickerchen halten, stammt aus dem S04-Shop. „Ist doch klar!“, meint der Käpt‘n, „in Blau und Weiß schläft es sich am besten.“ Der 20-jährige Kevin, der den Kutter eines Tages vom Opa übernehmen wird, nickt eifrig. Auch er ist Schalker und trägt die Farben mit Stolz aufs Meer hinaus.

Die 1973 im Auftrag von Jan Claußens Vater Max-Heinrich gebaute „Antares“ ist der schönste Krabbenkutter der Nordsee – mindestens. „Dabei hatte mein alter Herr mit Fußball gar nichts im Sinn“, erinnert sich der Fischer schmunzelnd. „Erst als ich das Schiff von ihm übernommen hatte, fing ich an, es umzugestalten.“ Heraus kam ein Gesamtkunstwerk, das im Büsumer Hafen zu den größten Touristen-Attraktionen zählt. „Immer wieder überlege ich, wie man den Kutter noch weiter verschönern kann“, sinniert der 59-Jährige. Falls sich an dieser Stelle irgendwer fragt, ob dieser Kapitän alle Tassen im Schrank hat, sei versichert: Ja, hat er! „Zu Hause habe ich 162 verschiedene Schalke-Kaffeetassen“, versichert der sympathische Seebär und grinst. Weitere sechs befinden sich an Bord seines Kutters.

Claußen sitzt unter Deck im kleinen, gemütlichen Salon der „Antares“ und plaudert bei einer Tasse Instant-Cappuccino über das Leben und seine Leidenschaften. Fühlt man sich als Schalker nicht etwas verloren unter all den Fischern, die in Büsum festmachen? Hier oben, ganz alleine in HSV-Hoheitsgewässern? „Wieso ganz alleine?!“, fragt Claußen verständnislos zurück und weist mit kurzer Kopfbewegung auf den Kutter „Edelweiss“, der wenige Meter weiter an der Pier vertäut ist: „Der gehört dem Björn Feil, das ist ein guter Freund von mir – und ebenfalls bekennender Schalker. Und drüben beim Tanklager auf der anderen Seite liegt die ,Hörns Riff‘. Deren Kapitän Heiko Glindmeier ist auch seit Urzeiten Königsblauer.“

Und überhaupt – was heißt hier eigentlich HSV? Früher, beim Fußballspielen auf der Straße im heimischen Friedrichskoog sei es folgendermaßen gewesen, erzählt Claußen: „Die einen wollten Bayern sein, die anderen der HSV. Und die restlichen zwei Drittel waren Schalke!“ Der junge Jan eiferte den Kremers-Zwillingen und Klaus Fischer nach. „Fantastische Spieler“, schwärmt er. „Ich glaube, wegen ihnen bin ich S04-Fan geworden.“ Und Begründer einer blau-weißen Familiendynastie: Ehefrau Gabriela , der viel zu früh verstorbene Sohn, die drei Enkel Kevin, Mariesa und Pascal – sie alle hat Kapitän Claußen in den königsblauen Hafen gelotst. „Auch sonst gibt es bei uns im Dorf einige Schalker“, sagt das Familienoberhaupt sichtlich zufrieden. Und Kumpel Horst van Bömmel, im dunkelblauen S04-Sweater zum Termin mit dem Schalker Kreisel erschienen, reckt den rechten Daumen empor.

Zwischen den königsblauen Nordlichtern und der doch recht dominanten HSV-Fangemeinde herrscht eine gesunde Rivalität, die sich keinesfalls aufs Fußballerische beschränkt: „Als mein Schiff noch im Heimathafen Friedrichskoog lag, haben wir regelmäßig Kutter-Regatten veranstaltet“, erklärt Claußen. „Das war in erster Linie als Spaß für die Touristen gedacht. Andererseits wollte jeder Teilnehmer gerne gewinnen.“ Als er eines Tages spitzgekriegt hatte, dass einer der anderen Kutter vom Deck bis unter die Mastspitze mit HSV-Flaggen geschmückt werden sollte, dachte er sich: „Das kann ich auch! Ich hab dann volles Rohr mit Schalke aufgeflaggt und das HSV-Schiff anschließend schön auf Platz zwei verwiesen.“

Aufs nächste Bundesliga-Duell seines FC Schalke 04 mit den Hamburgern freut sich der Seebär bereits heute. Die Wahrscheinlichkeit, dass er es im Stadion verfolgen wird, ist hoch: „In der Saison 2017/2018 war ich bei allen Schalker Heimspielen bis auf eins“, erzählt er stolz. „So oft es sich mit meiner Arbeit vereinba en lässt, fahren wir runter – mit meiner Frau, den Enkeln und Bekannten.“ Über all die Jahre hat Claußen in Gelsenkirchen und Umgebung viele Freunde gewonnen. „Wir treffen uns vor den Spielen immer bei Bosch an der Glückauf-Kampfbahn, trinken ein Bierchen und schnacken ein bisschen. Natürlich bringe ich manchmal frische Krabben mit.“

Dass er an den Wochenenden regelmäßig ins Ruhrgebiet reisen kann, ist auch dem gegenwärtig reichen Vorkommen von Nordseekrabben zu verdanken: „Wir haben wöchentlich wechselnde Höchstmengen, die wir nicht überschreiten dürfen, weil sonst die Kühlhäuser überquellen.“ In der Regel stechen der erfahrene Fischer und Nachwuchs-Kapitän Kevin in der Nacht auf Montag in See und bleiben draußen, bis sie ihre Wochenquote von aktuell rund 1,5 Tonnen eingefahren haben. Das kann schon mal fünf Tage oder länger dauern. Weil Jan Claußen aber ein paar ziemlich ergiebige Krabbengründe kennt, schippert er oft schon dienstags oder mittwochs zurück gen Büsum.

Währenddessen kochen die kleinen Schalentiere an Bord in großen Kesseln. Später werden sie zum Pulen nach Marokko oder Polen geflogen, um verzehrfertig wieder in Deutschland zu landen. „Damit habe ich zum Glück nichts mehr zu tun“, sagt Claußen und lacht herzhaft. Und wenn er es doch mal nicht rechtzeitig zum Schalke-Spiel schafft? „Dann habe ich hier an Bord Satellitenfernsehen, Internet und Radio. So bin ich bestens informiert.“

Bleibt nur eine Frage: Mag man eigentlich noch Krabben, wenn man sie seit Jahrzehnten jeden Monat tonnenweise aus dem Meer hievt? „Na klar!“, entgegnet der Kapitän. „Am liebsten ganz frisch gepult mit einem Spritzer Zitrone, Salz und Pfeffer.“

Schalker Kreisel

Der Text ist ursprünglich im Schalker Kreisel #1 der aktuellen Saison erschienen.

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Source: © Feed by Schalke04.de

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